Der Flug über die Pyrenäen gibt etwas Übersicht und Hoffnung auf Neues zurück.
Die Landung in Lissabon ist perfekt.
Mein roter Koffer rollt an.
Das Taxi ist günstig und das Hotel gut gelegen, in der Nähe von Tejo und dem wunderschön belebten Platz „Praca do Comercio“.
Hier gesellen wir uns unter die Touristen, stossen mit einem Glas Vino tinto an und geniessen den ersten Abend, der immer verheissungsvoll erscheint, weil alles noch offen und möglich ist. Auch ein gefreuter Neuanfang nach einer vermeintlichen Katastrophe.
Dabei fällt mir ein, dass ich mich hie und da als krisenresistent bezeichne, denn darin bin ich leider mehrfach erprobt, und bis jetzt sind daraus immer wieder erfolgreiche Pläne entstanden.
So wird es hoffentlich auch jetzt sein.
Prost miteinander, auf schöne Ferien, trotz allem!
Nach dem hellen Licht auf dem sonnigen Platz mit Blick auf das schillernd glänzende und zuweilen fast gleissend glitzernde Wasser mit den riesigen Kreuzfahrtschiffen, welche wie unwirklich mächtige Ungetüme am Ufer Wache stehen, empfängt uns später das Hotel Turim bescheiden, gemütlich und angenehm abgedunkelt.
Modern in altes Gemäuer gebettet.
Der Frühstücksraum ist gleichzeitig Lobby und Bar am Abend.
Eine behagliche Höhle.
Wirkungsvoll durch marmorne Tische in Honiggelb beleuchtet.
Es passt perfekt zu meiner Stimmung.
Nimmt mich auf und ernst.
Hält mich fest, damit ich nicht versinken und verschwinden kann.
Für dieses Gefühl bin ich dankbar, obwohl ich lieber voller Tatendrang und Übermut wäre.
Ausserdem habe ich zwei ideale Reisebegleiter, die mich gut verstehen.
Was will man mehr?
Nach einer weiteren ziemlich schlaflosen Nacht, umwoben von kurzen wilden Träumen das Eingeständnis beim Erwachen: Ja, es ist so, mir fehlten rund zwanzig Stimmen zum Weitermachen im Gemeindepräsidium. Nun bin ich zwangspensioniert.
Da hilft auch der Cappuccino, der mir mein Mann ans Bett bringt, nur wenig und muss ausserdem noch extra bezahlt werden.
Das wird eine hohe Rechnung geben, denn ich trinke Cappuccino wie andere Menschen Wasser, vier oder fünf Tassen pro Tag.
Das Frühstück ist köstlich.
Wir verstehen uns gut.
Blicken aus den Fenstern.
Mitten in die pulsierende Stadt.
Mit ihrem regen Verkehr von Bussen, Taxis und Tuk-tuks aller Art. Tanken Energie in jeder Beziehung.
Dieser akurate Allzwecksraum entpuppt sich als eigentlicher Kraftort. Hier werde ich wieder zuversichtlich, das ist mein fester Entschluss.
Am späteren Vormittag entschliessen wir uns für ein Sightseeing in einem gelben Bus, steigen ins obere Stockwerk und fahren – draussen an der Sonne sitzend – mit winzigroten Kopfhörern bestückt durch die Stadt und stehen schon bald im Mittagsstau.
Bei der ersten Gelegenheit, bei der Terrasse Miradouro de Santa Luzia entscheiden wir spontan, auszusteigen, um die Aussicht auf die Stadt zu geniessen und den Burghügel zu besteigen.
Langsam und vorsichtig optimistisch – nicht abrupt und leidenschaftlich spontan wie sonst – entfaltet sich der Fächer meiner Freude und Neugier am Fremden und Unerwarteten.
Wieder rechtzeitig für die Weiterfahrt auf der Aussichts-Plattform angekommen, setzen wir uns auf Stühle vor dem Kiosk Largos das Portas de Sol.
Ich nehme meinen kleinen Rucksack auf den Schoss.
Doch Pünktlichkeit sei nicht Sache der Portugiesen, steht im Reiseführer.
Im Gegenteil.
Wer sich unbeliebt machen wolle, müsse nur pünktlich zu einer Einladung erscheinen, statt im Minimum eine Viertelstunde später, was einfach nur anständig und taktvoll sei.
Das kommt mir entlastend vor, daran könnte ich mich gut gewöhnen.
Also stehe ich auf, um die Werke eines Strassenmalers zu bewundern.
Zwei oder drei Minuten später ruft mir eine Frau in abgetragenen Kleidern und wilder Frisur entgegen: Your bag ist open……
Ich greife nach dem Rucksack, und schlagartig wird mir klar: Jetzt kommt der nächste Hammer.
Meine Hände zittern.
Das pochende Herz sinkt in die Magengrube.
Mir wird schlecht.
Aber das hilft nun gar nichts.
Denn mein Portemonnaie mit allem Drum und Dran und die kleine Kamera sind weg.
Ich flüchte zu meinen Männern.
Zurück an den Kiosk.
Lasse mich in den blechernen Gartenstuhl sinken und beginne zu wehklagen, wie dumm ich sei:
Denn auch die ID, das Halbtax-Abo der Bahn, die Bankkarten sowie Brot- und Pizzapass und so weiter seien nun weg, dazu alle Euros, etwa 700 und etwas an Franken.
Ich hatte vergessen, was das A und O aller Auslandferien ist: Nämlich nicht mit dem ganzen Sammelsurium an schweizerischer Wohlfahrt herumzureisen.
Wir sichten die umliegenden Abfallkörbe nach einem weggeworfenen, weil inzwischen durchforsteten Portemonnaie und vertrauen uns dann einem herumstehenden Polizisten an.
Beides vergeblich.
Der Ordnungshüter zuckt mit den Schultern, hört er doch immer dasselbe und weist uns an, auf dem Polizeiposten für Touristen Anzeige zu erstatten.
Der heranfahrende Sightseeing – Bus hat seine sonnig-gelbe Strahlkraft verloren und erscheint mir nun wie ein düsterer Karren, der mich zum Scheiterhaufen fährt, wo Hexen und andere Verdächtige und Versager verbrannt werden, damit sie nicht weiterhin die Gegend verunsichern.
Weil ich nicht wissen kann, was noch auf uns zukommen wird, glaube ich, am Ende aller Vernunft zu sein, nämlich dort, wo nur noch Pech und Schwefel kleben und verdampfen.
Ich brauche jetzt keine Kopfhörer mehr.
Denn Herz und Verstand sind übervoll.
Die Ohren taub.
Und die Augen blind für die Schönheit dieser Stadt, die ich so gern aufnehmen möchte.
Werde ich aus diesem Mief je wieder herauskommen?
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